Einführung in die Ausstellung von Jürgen Zaun

Im Dezernentenflur des Rathauses der Stadt Neuss
Rede für die Vernissage am 29.10.2007

 

Jürgen Zaun arbeitet nach seiner Ausbildung zum Steinbildhauer als freischaffender Künstler im dreidimensionalen Medium der Skulptur, Objektkunst und Installation. Seine Werke kreisen um ein Phänomen, welches schon die Philosophen der griechischen Antike beschäftigt hat: Das Paradoxon - der unaufhörliche Widerspruch. Beispielsweise stellte Zenon von Elea die vielen von Ihnen bekannte paradoxe Behauptung auf, dass der schnellfüßige Achilles einen Wettlauf mit der Schildkröte nicht gewinnen könnte, wenn er ihr nur einen entsprechenden Vorsprung ließe. Diese und andere Situationsbeschreibungen dienten dem Philosophen dazu, zu verdeutlichen dass die Erkenntnisse, die wir aus der Wahrnehmung mit den Sinnesorganen folgern, nicht wahr sein müssen.

Die Hinterfragung der eigenen Wahrnehmung durch die Darstellung von Paradoxien, ist auch ein zentrales Thema im Werk von Jürgen Zaun. Insbesondere die Gesetzmäßigkeiten der Schwerkraft und ihre vermeintliche Außer-Kraft-Setzung spielen für sein künstlerisches Schaffen eine wichtige Rolle.

Denn mit seinen Objekten und Installationen, die den Stein in das Zentrum stellen, doch auch andere Materialien, wie Drähte einbeziehen, visualisiert der Künstler physikalische Gesetzmäßigkeiten und stellt sie zugleich infrage.

So scheint der mit vier Drähten im ersten Lichthof des Rathauses verspannte Stein (Ojekt 739) nahezu in der Luft zu schweben, obwohl seine Größe ein erhebliches Gewicht dokumentiert. Auch das im zweiten Lichthof installierte Objekt (Objekt 740) visualisiert eine paradoxe Situation. Der an sich als statisch geltende Stein wird auf zwei Drähten gelagert und kann so in Schwingung versetzt werden. Durch das Herauslösen des Steins aus seinem üblichen Kontext wird dem Betrachter die Möglichkeit eröffnet, das Objekt neu wahrzunehmen und ihm bisher nicht wahrgenommene Eigenschaften zuzuweisen

Jürgen Zaun macht sich hier zugleich das seit den 1960er Jahren in der Kunst etablierte erweiterte Kunstverständnis der Skulptur als enviromental sculpture zu nutze. Denn die Einbeziehung des Umraumes als Wirkungsbereich für die Skulptur führt zu einer neuen Definition ihrer Möglichkeiten.

Auch mit seinen, als autonome Objekte zu bezeichneten Arbeiten versucht er eine visuelle Lösung für scheinbar unvereinbare Zustände zu finden. Aufgrund der ungewöhnlichen Anordnung der meist naturbelassenen Steinen inszeniert der Künstler mit seinen Objekten einen Balanceakt, der dem Betrachter nicht selten in den Zustand des Staunens versetzt. Die Irritation, die die Objekte auslösen, rührt von der augenscheinlich losen Schichtung der Steine her, die der Konstruktion eine Fragilität verleiht und zum Teil die Gravitation vermeintlich außer Kraft setzt. Dass für die Visualisierung dieser ungewöhnlichen Kräfteverhältnisse dennoch technische Hilfsmitte im Einsatz sind, schmälert die Faszination für die Objekte keineswegs. Denn das durch die Installationen beim Betrachter ausgelöste Moment des Hinterfragens, eröffnet einen Dialog, der von der Fragestellung der Machbarkeit hinüberführt zur Überprüfung der eigenen Erfahrenswerte.
Diesen Aspekt beleuchten auch die erst seit kurzem im Werk von Jürgen Zaun vertretenen Fotografien seiner Skulpturen, die als eigenständige Arbeiten fungieren. Sie dienen nicht der Dokumentation der Skulpturen, sondern eine konsequente Weiterentwicklung seines künstlerischen Anliegens.
Die verhältnismäßig kleinen Skulpturen lichtet der Künstler durch den Einsatz des Weitwinkelobjektivs und der Froschperspektive so ab, dass sie auf dem Abzug als archaisch anmutende, monumentale Steinkolosse erscheinen.
 

Dieser mittels der Fotografie gezielt hervorgerufene Widerspruch zwischen der realen und der kreierten Größe spielt erneut mit unseren Sehgewohnheiten und Erfahrungen. Der spontane und unmittelbare Dialog zwischen Objekt und Betrachter wird damit erneut in Gang gesetzt. Zugleich eröffnet die Fotografie aber auch die provokante Frage, ob die zunächst nur virtuell erzeugte monumentale Größe auf den Abzügen nicht auch eine Zukunftsvision für die Skulpturen von Jürgen Zaun sein könnten. Aufgrund der bisher bewiesenen Akribie für das Austarieren der kleinen Skulpturen dürfte das Potential dafür durchaus vorhanden sein.

 

  Dr. Uta Husmeier-Schirlitz
  Direktorin des
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